Viele Industrieunternehmen stehen nur alle 20 bis 30 Jahre vor der Herausforderung, eine neue Abwasserbehandlungsanlage zu planen und umzusetzen. Die Projektverantwortlichen der Altanlage sind oft nicht mehr im Unternehmen, Erfahrungswerte fehlen – und plötzlich muss eine hochkomplexe Infrastrukturmaßnahme erfolgreich realisiert werden.
In unserem neuen Interview mit Tobias Höfer, Ingenieur und Projektleiter bei MÖLLER Medical, geben wir einen authentischen Einblick in genau so ein Projekt. Offen, detailliert und praxisnah beschreibt er den Weg von der Analyse des Altbestands bis zur Inbetriebnahme einer vollautomatisierten Abwasserbehandlungsanlage von ALMAWATECH.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die MÖLLER Medical GmbH mit Sitz in Fulda ist ein international tätiges Unternehmen, das seit 1949 für Innovation und Präzision in der Medizintechnik, Diagnostik und Pharmazie steht. Das mittelständische Unternehmen entwickelt und produziert ein breites Portfolio an Medizinprodukten und technischen Lösungen, darunter Geräte für die ästhetische Chirurgie, Bluttransfusion, Biopsie und das CSF-Management.
Die ALMAWATECH wurde 2023 beauftragt, eine Abwasserbehandlungsanlage zu bauen. In diesem Interview sprechen wir mit Tobias Höfer, Projektleiter bei MÖLLER Medical, der maßgeblich an der Planung und Umsetzung der Anlage beteiligt war.
Foto: Unsere modulare CP-Anlage ALMA CHEM MCW zur Entfernung von Schwermetallen, AOX und refraktärem CSB
Vorstellung & Tätigkeiten
Herr Tobias Höfer, können Sie sich kurz vorstellen? Was ist Ihr Aufgabenbereich bei MÖLLER Medical?
Herr Höfer: Gerne! Mein Name ist Tobias Höfer, ich bin 37 Jahre alt, lebe in Gelnhausen mit meiner kleinen Familie und bin jüngst Vater einer wundervollen Tochter geworden. Ich arbeite seit ~3 Jahren bei MÖLLER Medical im Bereich Produktionsmanagement. Meine Kernaufgabe liegt in der Prozessentwicklung und Anlagenbeschaffung für die Produktion.
Welche Projekte betreuen Sie typischerweise und mit welchen Themen beschäftigen Sie sich im Tagesgeschäft?
Herr Höfer: Das schöne an meinen Projekten liegt in Ihrer Varianz und der draus resultierenden Abwechslung, man lernt quasi mit jedem Projekt dazu. Mein erstes Projekt bei Möller war die Beschaffung einer kompletten Fertigungsinsel bestehend aus 4 Maschinen. Da es sich um einen Running Change handelte gab es hierbei eine strenge Zeitschiene und kaum eine Anlaufkurve, außerdem durften wir den Prozess im Zuge der Umstellung optimieren und das Produkt für unseren Kunden komplett anders herstellen als der bisherige Lieferant. So konnten wir modernste Prozesse wie beispielsweise einen UKP Laser, eine Spritzgussmaschine mit Drehteller und eine Microschweißanlage installieren.
Nach diesem Riesenprojekt habe ich weiteres Equipment ins Unternehmen gebracht, 2023 startete dann die Projektierung unserer neuen Abwasseraufbereitungsanlage.
Die Ausgangssituation bei MÖLLER Medical
Welche Art von Abwasser fällt bei MÖLLER Medical an, und warum war eine neue Abwasserbehandlungsanlage notwendig?
Herr Höfer: Da MÖLLER Medical eine sehr große Fertigungstiefe hat, kommen die Prozess Abwässer aus sehr vielen unterschiedlichen Quellen. In Summe handelt es sich um über 40 Prozesse, in denen die Abwässer entstehen. Der größte Erzeuger ist aber mit Abstand unsere Oberflächenbearbeitung, hier entstehen im Elektropolieren, Gleitschleifen und Reinigen der größte Anteil. Weitere Erzeuger sind mehrere Reinigungsanlagen, Ultraschallbecken, Polituranlagen und viele weitere. Unser Abwasser enthält deshalb vor allem Schwermetalle und ist sehr sauer. Eine neue Anlage wurde nötig, weil die bereits 50 Jahre alte Durchlaufanlage mit Dortmundbrunnen kurz davor war unsere Einleitwerte nicht mehr sicherstellen zu können. Reiniger (Welche die Metalle in der Schwebe hielten) und eine zu hohe Strömungsgeschwindigkeit durch immer mehr Verursacher brachten die Bestandsanlage an Ihre Grenzen.
Hatten Sie bereits Vorkenntnisse oder Berührungspunkte mit Abwasserbehandlungsanlagen, oder war das Thema für Sie neu?
Herr Höfer: Ich bin komplett ohne Vorkenntnisse in dieses Projekt gestartet. Da ich sehr Autodidakt veranlagt bin konnte ich mich (Auch mit Hilfe von KI Tools) sehr schnell in das Thema einarbeiten. Außerdem hatte ich gleich 2 Chemiker im Projektteam (Sascha Ziegler und Mario Gatterdam), welche mich sehr gut beraten haben. Was auch geholfen hat, waren Gespräche mit Lieferanten. An dieser Stelle möchte ich Dominik Hoffmann ein Lob aussprechen, sein tiefreichendes Fachwissen hat mir vor allem in dieser frühen Projektphase sehr weitergeholfen. Vertriebler mit technischem Background findet man heutzutage leider immer seltener, deshalb muss ich diese Anomalie besonders hervorheben.
Foto: Unsere CP-Anlage ALMA CHEM MCW Modular installiert im Technikraumcontainer ALMA Modul. Zu sehen ist eine Kammerfilterpresse zur Schlammentwässerung, sowie die Dosierstationen für unsere Betriebsmittel ALMA AQUA
Der Weg zur passenden Anlage
Als Sie erkannten, dass eine neue Anlage notwendig ist – wo haben Sie mit der Planung begonnen?
Herr Höfer: Ein Projekt startet bei mir immer mit der Erstellung eines OneNote Notizbuches, hier lege ich einfach alles ab, was mit dem Projekt in Berührung kommt. Bei größeren Projekten wie diesem starte ich dann in der Regel mit einer Recherche und mit Interviews. Hier sammele ich alle Informationen welche später in mein Lastenheft fließen. Im Falle dieses Projektes kamen weitere Aufgaben hinzu, ich musste einen Standort finden, die Infrastruktur musste angegangen werden, ich musste herausfinden, wie die Eingangsgröße also unser Abwasser wirklich aussieht. Außerdem wollte ich den Prozess optimieren und eine Technologie einführen, welche dem Stand der Technik entspricht.
Wussten Sie von Anfang an, nach welcher Art von Anlage Sie suchen mussten, oder gab es verschiedene Lösungsansätze?
Herr Höfer: Ich gehe prinzipiell Technologieoffen an alle Projekte heran, nur so kann die optimale Lösung gefunden werden. Zu Beginn der Recherche waren alle Technologien erstmal auf meinem Radar (Umkehrosmose, Verdampfung, Flotation & Sedimentation). Nach ersten Versuchen konnte hier sehr schnell eine Auswahl erfolgen. Eine Chemisch Physikalische Lösung versprach die besten Ergebnisse zum niedrigsten Invest und zum niedrigsten Energieaufwand. Die für die Sedimentation nötige Erdanziehungskraft gibt es ja zum Glück gratis.
Foto: Innenansicht unserer CP-Anlage ALMA CHEM MCW im modulbauweise für eine nachhaltige und flexible Aufstellung. Der CO2-Fußabdruck von unseren Modulanlagen ist bis zu 60 % geringer, im Vergleich zur marktüblichen Hallenbauweise.
Neben dem Preis – welche Faktoren waren für Sie bei der Wahl des Anlagenbauers besonders wichtig? Ging es um technische Kompetenz, Automatisierungsgrad, Wartungsfreundlichkeit oder andere Aspekte?
Herr Höfer: Wir haben es uns bei der Lieferantenauswahl nicht leicht gemacht. Stark vereinfacht lief das Ganze in etwa so ab:
- Wir haben erst sehr breit angefragt
- Noch über 30 Lieferanten
- Dann kam der erste Filter (Telefonate und Meetings)
- Noch ~14 Lieferanten
- Dann haben wir diese Intern weiter reduziert auf die Vielversprechendsten
- Noch ~8 Lieferanten
- An diese Lieferanten gingen dann entsprechende NDA’s raus und das Lastenheft
- Basierend auf der Angebotsperformance wurde das ganze weiter gefiltert
- Noch 3 Lieferanten
- Dann gab es eine Umfangreiche Nutzwertanalyse
- In dieser bekommt jeder Lieferant Punkte in 3 Kategorien:
- Hardfacts
- Invest, Lieferzeit, Personalbindung, Distanz
- Lastenhefterfüllung
- Jeder einzelne Punk im LH wird bewertet
- Kommt der Punkt im Angebot vor?
- Wenn ja: Wie gut wird er erfüllt
- Softfacts
- Hier wurden im Team Softfacts aufgeschrieben
- Diese wurden in einem Paarvergleich gewichtet
- Und dann für jeden Lieferanten gemeinsam bewertet
- Das hier waren unsere Softfacts in diesem Projekt:
- Service
- Durchsatz pro Charge
- Kapazität
- Chemiebedarf
- Zuverlässigkeit/Robustheit
- Ersatz- & Verschleißteilversorgung
- Bedienerqualifikation
- Verbrauch
- Komplexität
- Genehmigung und Doku
- Lieferantenmatch
- Das hier waren unsere Softfacts in diesem Projekt:
- Kommt der Punkt im Angebot vor?
- Jeder einzelne Punk im LH wird bewertet
Welche Maßnahmen waren notwendig, um die neue Anlage in den Betrieb zu integrieren, die wir als Anlagenbauer nicht abnehmen konnten?
Herr Höfer: Bereits früh im Projektverlauf wurde klar: Mit der Anlage allein ist es nicht getan! Beispielsweise musste der Kanal in den wir einleiten wollen, saniert werden, das ergab sich aus einem der EKVO Berichte. Zum Glück konnte diese Sanierung parallel zum Kritischen Stang im Projektplan erfolgen. Des Weiteren wurde im Gantt Diagramm auch schon klar, dass es 2 weitere Pfade gab, welche zu einem Delay führen können: Die Abwasserrechtliche Genehmigung sowie die Baugenehmigung für die Containeranlage. Im Nachhinein muss ich gestehen, dass ich die Behördlichen Aufwände deutlich unterschätz habe, ich verbuche das aber positiv als Learning bei mir. Außerdem muss ich erwähnen, dass der Support für die Erstellung der Genehmigungsunterlagen durch Maksim Milosevic wirklich super war.
Gab es bauliche oder infrastrukturelle Anpassungen, die berücksichtigt werden mussten?
Herr Höfer: Oh ja, die gab es. Das lag aber auch an unserer Standortauswahl. Wir wollten die Anlage optimal positionieren, das forderte seinen Tribut. Der Finale Standort liegt auf einer Grundstücksgrenze, das erschwerte den Bauantrag, es musste eine Baulasteintragung geben. Außerdem mussten in Summe 17 Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt werden für den Wunsch Standort. Ein Dach musste abgerissen werden, Ein Lüfter musste versetzt werden, Ein Spezialfundament wurde gemäß Statik Berechnung in 3 Betonier Abschnitten gegossen und vermessen. Es war schon ein Riesenaufwand, aber es hat sich gelohnt, die Anlage konnte nach den 4 Wochen Trocknungszeit erfolgreich am Zielstandort aufgestellt werden.
Foto: Unsere Dosierstationen für die Neutralisations- und Fällungsmittel, sowie unsere Ansetzstation für Flockungshilfsmittel. Alle Betriebsmittel sind aus unserer Produktserie ALMA AQUA
Fazit
Sind Sie zufrieden mit der neuen Abwasserbehandlungsanlage?
Herr Höfer: Absolut! Unser Abwasser erreicht Rekordwerte, der Personalaufwand wurde deutlich reduziert und unser Standort in Fulda wurde durch die Installation gesichert. Auch die Betreiber der Anlage sind sehr glücklich, das ist für mich immer der Beste Indikator, dass das Ganze erfolgreich war. Ein Großes Lob möchte ich an dieser Stelle an Jonas Kaiser aussprechen, er hat das Projekt seitens ALMAWATECH koordiniert. Die Zusammenarbeit und Abstimmung hätten besser nicht sein können.
Nach dem Abschluss dieses Projekts – haben Sie bereits ein neues Vorhaben, das über das Alltagsgeschäft hinausgeht und Ihre Aufmerksamkeit erfordert?
Herr Höfer: MÖLLER Medical wächst jeden Tag, ich war eigentlich hier noch nie ohne Projekt. Ich darf noch nicht allzu viel sagen, aber es beinhaltet auch wieder Infrastrukturmaßnahmen, hier kann ich also deutlich aus dem Projekt mit der CP-Anlage partizipieren.
Die neue Abwasserbehandlungsanlage bei MÖLLER Medical
Im Januar 2025 wurde die CP-Anlage (chemisch-physikalische Anlage, auch Fällungs- und Flockungsanlage genannt) ALMA CHEM MCW Modular erfolgreich bei MÖLLER Medical in Betrieb genommen. Die Anlage ist mit einer Schwermetallfällung, Chromatreduktion, Aktivkohlefiltration und einer Ionenaustauscheranlage ausgestattet und wurde platzsparend in einem Doppelstockcontainer installiert. Sie arbeitet als Batch-Anlage mit vollautomatisierter Steuerung und verfügt über eine Schlammentwässerung mittels Kammerfilterpresse, wodurch ein effizienter und ressourcenschonender Betrieb gewährleistet wird.
Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, wie unsere CP-Anlage ALMA CHEM MCW Modular funktioniert und welche spezifischen Lösungen bei diesem Projekt umgesetzt wurden, werfen Sie einen Blick auf unser Referenzblatt.
Vielen Dank, Herr Höfer, für das aufschlussreiche Gespräch und die angenehme Zusammenarbeit!